Dieser Artikel handelt davon, wie man spezielle Fototechniken kombinieren kann, um etwas besonders Eindrucksvolles zu produzieren. Konkret: Eine Highspeed-Fotografie friert ultraschnelle Bewegung ein. Mittels Bullet-Time-Rig wird dieses Bild exakt zeitgleich von mehreren Kameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen, und das ermöglicht dreidimensionale Darstellung und Animation des Ergebnisses. Jeder einzelne winzige Wassertropfen ist in jedem Bild an exakt derselben Position in der Bewegung eingefroren.
Bullet-Time? Wasserhut? Kleine Begriffsklärung vorab:
- Wasserhüte sind Hüte aus Wasser. Keine echten Hüte, aber sie sehen wie Hüte aus. Jedenfalls ein paar Millisekunden lang. Sie entstehen, wenn man einen mit Wasser gefüllten Ballon auf dem Kopf einer Person zum Platzen bringt und dabei in der richtigen Millisekunde fotografiert. Wie ich das mache, erkläre ich in zwei älteren Blogbeiträgen (klick).
- Für den Begriff Bullet-Time zitiere ich mal Wikipedia: “Bullet Time (von engl. bullet ‚Projektil‘ und time ‚Zeit‘) bezeichnet in der Filmkunst einen photogrammetrischen Spezialeffekt, bei dem der Eindruck einer Kamerafahrt um ein in der Zeit eingefrorenes Objekt herum entsteht. Er macht schnelle Geschehnisse, wie zum Beispiel fliegende Pistolenkugeln, genau und von verschiedenen Blickwinkeln sichtbar. Verlangsamungen bis hin zum Stillstand und sogar rückwärtslaufende Zeit sind ebenfalls möglich. Außer in Actionfilmen wird Bullet Time auch in Videospielen verwendet.”
Ein prominentes Beispiel für Bullet-Time-Aufnahmen ist die bekannte Szene aus “Matrix”, in der Neo Geschosse um die Ohren fliegen und er sich scheinbar seelenruhig darunter hinweg duckt bzw. ihnen ausweicht (hier siehst du ein Making-Of-Video dazu).
Auch Pro7 Galileo hat sich des Themas angenommen und eine ziemlich coole Kurz-Doku über die Technik gedreht.
Vorgeschichte
Die Idee zum “Bullet-Time”-Shot mit Wassermütze kam mir, als ich mich Anfang 2019 mit dem Thema Bullet-Time / Matrix beschäftigte. Schnelle Bewegungen fotografieren, das hatte ich schon vorher öfter mal gemacht (siehe dazu auch meine Blogartikel über Highspeed-Fotografie: http:// hertrich.photo/highspeed)
Die technische Inspiration kam von einem kleinen Making-Of von “Matrix”:
Auf Nachfrage beim Sony-Deutschland-Marketing, ob man interessiert wäre, mir für ein Bullettime-Rig mehrere Kameras, ggf. mit Montage und Filmteam für ein großes Making-Of zur Verfügung zu stellen, verneinte man. Aber ich wollte das unbedingt machen.
Darum habe ich in meinem Lieblingsfotoclub (“Hobbygrafen Club Beilngries und Umgebung“) nachgefragt, wer Interesse hätte, mit seiner Kamera beim großen 3-tägigen “Water-Wigs-Shooting”-Event in einer gemieteten Landwirtschaftshalle vorbeizukommen, um ein Teil eines improvisierten Bullet-Time-Rigs zu werden. 7 Fotografen kamen mit ihrer Kamera (teilweise mit mehreren Kameras), zzgl. meiner zwei Kameras hatten wir dann 11 Kameras in einem Kreisbogen um das Set aufgestellt.
An dieser Stelle darf ich allen ganz herzlich danken, die diesen Spaß mitgemacht haben:
- Model Nicky Stone
- Visagistin Swetlana Schmid (geb. Swetlana Ross)
- Fotografin Petra Tillmanns
- Fotograf Mevlüt Altuntas
- Fotograf Björn Ziegler mit seiner bezaubernden Frau Maria, die jederzeit tatkräftig half, wenn es etwas zu helfen gab
- Fotograf Wolfgang Rehm
- Fotograf Michael Nagel
- Fotograf Thomas Hofbauer
- Fotograf Tri Bui war nicht persönlich dabei, hat aber seine Kamera zur Verfügung gestellt – danke auch dafür!
Vorgehen, Technik
Die exakte Synchronisation der Auslösung war hier gar kein großes Thema: Der Zeitpunkt der Aufnahme wird ohnehin durch den Blitz bestimmt. Es muss nur sichergestellt sein, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme alle Kameras offen sind (offener Verschluss) und der Raum komplett abgedunkelt ist, damit kein Licht auf die freiligenden Kamerasensoren fällt (außer im Moment des Blitzens). Das Timing des gesamten Prozesses und besonders der Blitzauslösung war hingegen schon eine Herausforderung. Pro Aufnahme gilt es, die folgenden Punkte exakt einzuhalten:
- Alle beteiligten Personen machen sich bereit. Model nimmt die Pose ein, Wasserballonwerfer zielt schonmal auf den Nagel, der auf dem Kopf des Models befestigt ist und der sicherstellt, dass der Ballon auch platzt. Fotografen bereiten ihre Kameras und sich selbst vor.
- Der Raum wird abgedunkelt (ich schalte die Raumbeleuchtung mittels Funkfernbedienung aus)
- Alle 11 Kameraverschlüsse werden ungefähr zeitgleich für 5 Sekunden geöffnet. Jeder Fotograf muss seine Kamera(s) dafür zum richtigen Zeitpunkt auslösen.
- der Werfer wirft den Wasserballon. Über eine Laserlichtschranke mit Verzögerungselektronik wird der Blitz im richtigen Moment kurz nach Platzen des Ballons ausgelöst, ca. 120 Millisekunden nachdem der Ballon durch die Lichtschranke geflogen ist. Die an der Blitzanlage eingestellte Blitzabbrennzeit von 1/10.000s friert die Bewegung ein
- Die Kameraverschlüsse gehen nach 5 Sekunden wieder zu
- Ich schalte die Raumbeleuchtung wieder ein
- Das Model darf sich abtrocknen 😉
Das folgende Video zeigt die Anfertigung einer Aufnahme mit allen Kameras:
Play Video
Da bei Schritt 3 nicht alle Fotografen gleich schnell auf mein Kommando durch Einzählen reagieren, leite ich Schritt 4 – ebenfalls durch Einzählen – erst nach einer Pufferzeit von 2 Sekunden ein. 5 Sekunden Verschlusszeit reichen dafür ja aus, wenn man nicht durcheinander kommt. Und ich kam ab und zu mit dem Einzählen und der Reihenfolge der Knöpfchen, die zu drücken waren, durcheinander, ich mache sowas ja nicht alle Tage. 😉
Es hat einige Probeaufnahmen gebraucht, bis alle wussten, was sie wann zu tun haben, und auch wirklich alle Kameras zum richtigen Zeitpunkt offen. und der Ballon zum richtigen Zeitpunkt auf dem Kopf des Models waren. Nach rund einer Stunde Vorbereitung hatten wir das erste Bild in den 11 Kästen. Danach waren noch einige Korrekturen an Set, Kameraeinstellungen und Timing nötig, bis wir schließlich 11 so gut zusammenpassende Bilder hatten (Bildausschnitt, Winkel, Belichtung, wirklich alle Kameras ausgelöst, nicht aus Versehen den Blitz doppelt ausgelöst usw.), dass ich sie in der Postproduktion zu einem 3D-Bild bzw. einer Animation zusammenfügen konnte.
Nachbearbeitung der Bilder:
Dennoch waren in der Nachbearbeitung noch intensive Anpassungen notwendig. Es waren ja alle möglichen verschiedenen Kameras dabei. Vollformat und APS-C. Sony, Nikon und Canon. Wir hatten uns auf eine Brennweite von 70mm und Blende von f/11 geeinigt, die aber mit den unterschiedlichsten Objektiven realisiert wurden. Also auch hier deutliche Unterschiede in der Abbildungsqualität.
Und nicht zuletzt war es wohl ein Fehler, links und rechts hinten unterschiedlich farbige Rimlights (Lichter von schräg hinten, die die Wassertröpfchen gegen den schwarzen Hintergrund hervorheben) aufzustellen, denn je nach Kamerawinkel sah dann der Wasset-Hut eher rot oder eher blau aus (in der Mitte violett). Eigentlich ein schöner Effekt, aber beim Zusammenfügen mehrerer Bilder sollte die Farbe eines Objekts nicht variieren. Das hatte ich vorher nicht bedacht.
Der Nachbearbeitungsprozess war ungefähr folgender:
- Alle Bilder in Lightroom Classic importieren.
- Die Bilder in Zuschnitt und Belichtung grob aneinander anpassen
- Alle Bilder nach Photoshop als Ebenen exportieren
- In Photoshop alle Bilder an Hilfslinien (Gesichtsbegrenzung) so ausrichten, dass die Bilder, nacheinander abgespielt, eine saubere Drehung des Models um die vertikale Achse zeigen
- Störungen in den Bildern herausmaskieren bzw. wegstempeln. Gerade bei den Bildern von ganz links und ganz rechts sind im Hintergrund der Ballonwerfer bzw. Lampenstative zu sehen.
- Die Bilder einzeln so in Belichtung, Kontrast, Weißabgleich, Farbbalance und Schärfeeindruck feinjustieren, dass sie optisch gut zusammenpassen
- Alle Bilder synchron so beschneiden, dass zwar das Model und der Wasserhut nicht zu sehr beschnitten sind, aber keine (nicht behebbaren) Störungen mehr in den Bildern zu sehen sind.
- Export als 11 einzelne JPEGs
Präsentation
So viel Aufwand für knapp 10 fast gleiche Bilder. Und nun? Wie zeigt man sie am besten? Darüber hatte ich im Vorfeld gar nicht nachgedacht, tatsächlich war das aber eine weitere große Herausforderung.
Animation
Als erstes erstellte ich aus den Bildern eine Animation. Ganz hübsch anzusehen, aber nichts Besonderes. Hier fallen dann die letzten Unterschiede zwischen den Bildern in Belichtung, Ausrichtung usw. extrem stark auf. Sicher hätte man da durch aufwendige Bearbeitung noch mehr herausholen können, aber ganz ehrlich: Für solche stundenlange Feinarbeit fehlt mir die Geduld!
Dass übrigens die Farbe des Wasserhuts zwischen blau und rot wechselt, ist dem Umstand geschuldet, dass ich am Set zwei Rimlights (Seitenlichter von hinten) hatte, links mit Blaufilter und rechts mit Rotfilter. Das macht das Bild spannender. Aber ich hatte nicht bedacht, dass je nach Blickwinkel der Wasserhut dann ganz unterschiedlich vom Licht eingefärbt ist. Again what learned.

Interaktives 3D-Modell mittels Photogrammetrie
Anschließend hatte ich versucht, aus den so erzeugten Einzelbildern über die Photogrammetrie-Software “3DF Zephyr” ein 3D-Modell zu errechnen, was jedoch misslang. Das kann an mir gelegen haben, weil das mein erster Versuch mit der Software war. Oder es lag an der zu schlechten Übereinstimmung der Bilder bzw. an den unendlich vielen winzigen Details (Wassertröpfchen).
Falls jemand von euch mal versuchen möchte, ein 3D-Modell zu erstellen, stelle ich gerne die Quellbilder zur Verfügung. Ich würde mich freuen!
Photogrammetrie ist ein Thema, das mich auch im Zusammenhang mit der Produktion virtueller Touren (www.360bayern.de) sehr interessiert. Wäre ein netter Einstieg ins Thema gewesen. Naja.
Lentikulardruck / Linienrasterdruck / Wackelbild
Monate später kam mir die Idee, aus den Bildern einen Lentikulardruck erzeugen zu lassen (umgangssprachlich “Wackelbild”, das Verfahren heißt auch “Linienrasterdruck”). Wir alle kennen die “Wackelbilder” aus unserer Kindheit.
Auf meine Angebotsanfrage bei einigen Spezialisten für Lentikulardruck antwortete interessanterweise nur Elmar Spreer von www.digi-art.de. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Herrn Spreer für das ausführliche und inspirierende Telefongespräch und die tolle Unterstützung! Und jetzt hatte ich endlich eine Möglichkeit, allen am Projekt Beteiligten ein kleines Geschenk zukommen zu lassen, etwas Echtes, das man in die Hand nehmen kann! Lentikulardruck ist vergleichsweise sehr teuer und aufwendig: Wen das Druckverfahren interessiert, dem empfehle ich den Wikipedia-Artikel über Linienrasterdruck.
In Kürze: Die Bilder werden in Linien aufgeteilt, die neben- oder untereinander auf ein Papier gedruckt werden. Dann wird eine spezielle Linien-Linse aus Kunststoff aufgebracht, so dass man je nach Betrachtungswinkel unterschiedliche Bilder sieht.
Wackelbild horizontal und vertikal – ein Vergleich
Das Besondere an der Kombination aus vertikalen Linien/Linsen und dieser Art der Aufnahme einer Szene ist, dass man beim Betrachten des Lentikularbildes nicht nur ein typisches “Wackelbild” sieht, das sich bei Bewegung verändert, sondern man hat einen 3D Effekt, auch ohne “Wackeln”. Denn das linke Auge bekommt ein Bild, das von weiter links aufgenommen ist und das rechte Auge ein Bild, das von weiter rechts aufgenommen ist. Bei horizontalen Linien / Linsen funktioniert das nicht. Das lässt sich hier im Internet natürlich ohne spezielle 3D-Hardware nicht zeigen. Aber damit du besser verstehst, was ich meine, hier ein Vergleich: Links ist ein Lentikulardruck mit vertikalen Linien und Linsen, rechts mit horizontalen. Kippe ich die Bilder nach rechts/links, sieht man die Animation auf dem linken Bild. Kippe ich sie nach oben/unten, sieht man sie auf dem rechten Bild.
Andere Möglichkeiten zur Präsentation?
Wenn du weitere Möglichkeiten kennst, solche Bilder eindrucksvoll zu zeigen, egal ob in Internet oder außerhalb davon, freue ich mich über eine Nachricht! 🙂