Was haben Canons “Dual Pixel RAW” der EOS 5D Mark IV und die Lichtfeldfotografie gemeinsam? Und was bringt Dual Pixel RAW in der Praxis? Heute auf der Photokina in Köln habe ich endlich bei Canon die Frage klären können, wie Dual Pixel RAW funktioniert und wie man es am besten nutzt, nachdem im Vorfeld der Markteinführung der EOS 5D Mark IV so viel spekuliert wurde. Achtung: Alle hier gegebenen Informationen beruhen auf der Erklärung des Canon-Mitarbeiters und meiner Interpretation. Missverständnisse sind nicht ausgeschlossen.
Inhalt
Dual Pixel RAW: Fokusebene verschieben
Wenn du diesen Blogbeitrag liest, weißt du vermutlich schon, dass Dual Pixel RAW dafür gedacht ist, nach der Aufnahme die Fokusebene noch geringfügig verschieben zu können (also das Bild “nachfokussieren” zu können).
Es gibt zwei weitere Effekte, die Dual Pixel RAW möglich macht:
- Bokeh-Verschiebung (also die Verschiebung von unscharfen Elementen im Hintergrund und Vordergrund gegenüber dem scharfen Hauptmotiv, zur leichten Umgestaltung der Bildkomposition im Nachhinein)
- Herausrechnen von Gegenlichteinstreuungen
Quasi ganz ähnlich wie das, was die Lichtfeldfotografie so interessant macht. Aber: Wie weit geht das Ganze, was nützt es in der Praxis?
Die Technik
Was Canon hier macht, ist technologisch tatsächlich mit der Lichtfeldfotografie verwandt, ist aber eine einfachere Umsetzung davon. Ganz einfach ausgedrückt (oder sagen wir mal: So einfach wie möglich): Bei der Lichtfeldfotografie sorgt ein Mikrolinsenarray vor dem Sensor dafür, dass das Bild in viele, viele kleine unterschiedliche Bilder aufgeteilt wird. Auf dem Sensor entstehen diese kleinen Bilder und eine Software berechnet aus diesen vielen kleinen Bildern, wie weit jedes Pixel des Gesamtbildes vom Sensor entfernt ist und aus welcher Richtung der Lichtstrahl kommt. Wer das genauer verstehen möchte, kann sich dieses Video ansehen, in dem Herr Perwaß von Fa. Raytrix im Computerclub das Prinzip der Lichtfeldfotografie sehr schön erklärt:
Canon hat das Prinzip vereinfacht:
Hier ist auch ein Mikrolinsenarray vor dem Sensor. Genau genommen ist es wohl eher ein Mikro-Prismen-Array. Jedes Prisma fängt Lichtstrahlen aus genau zwei Richtungen ein (Bei Lichtfeldfotografie: Aus allen Richtungen) und leitet sie in die darunterliegenden Sensorpixel.
Auf diese Weise kann die Kamera wie eine Lichtfeldkamera die Entfernung jedes Bildpunktes zum Objektiv in gewissem Rahmen berechnen und es wird möglich, auch hier die Schärfenebene zu verschieben. Allerdings nur ganz geringfügig.
Ein weiterer Vorteil, den der Herr von Canon nannte: Dadurch, dass die Einfallsrichtung aller Lichtstrahlen nun bekannt ist, kann die Kamera ungewolltes Streulicht identifizieren und dieses aus dem Bild wieder herausrechnen.
Was bringt es in der Praxis? Nicht viel.
So toll sich das Prinzip anhört und so eindrucksvoll die Beispiele von Canon aussehen: Als es an den Praxistest ging, stellte sich ein wenig Ernüchterung ein. Einige Testfotos (Portrait bzw. Schrift mit Offenblende, 70mm Brennweite und relativ nahe aufgenommen) waren kaum in der Schärfeebene zu beeinflussen.
Ich fotografiere gerne Menschen, und bei der Portraitfotografie passiert es mit unter, dass der Schärfepunkt nicht exakt sitzt. Man fokussiert auf das vordere Auge, das Modell bewegt sich ein paar Millimeter, und schon ist das vordere Auge unscharf und stattdessen die Nasenwurzel scharf und beide Augen unscharf. Canon wirbt nun damit, dass man in so einem Fall z.B. die Fokusebene wieder auf das vordere Auge schieben kann. Das klappte bei den von mir aufgenommenen Testbildern nicht. Ein paar Millimeter ließ sich die Schärfeebene verschieben, aber von einem Auge bis zum anderen oder auch nur von der Nasenwurzel zu einem Auge reichte das nicht.
Der Herr von Canon sagte, den optimalen Effekt erziele das Ganze, wenn das fotografierte Motiv die 20-fache Brennweite entfernt ist. Also: Wenn ich ein Portrait mit 100 mm Brennweite aufnehme, müsste mein Modell 2 Meter weit entfernt stehen, damit der Effekt optimal nutzbar ist. Das ist ein realistischer Abstand für Portraitaufnahmen. Leider habe ich bei meinen Test-Portraits kaum einen Effekt erzielen können. Jedenfalls nicht offenblendig. Es geht das Gerücht um (gibt es dafür offizielle Stimmen?), dass die Fokusverschiebung bei offenblendigen Aufnahmen nicht gut funktioniert, sondern erst bei ca. f/5.6. Da frage ich mich jedoch: Wenn ich die Blende schon so weit geschlossen habe, dann habe ich schon eine so große Schärfentiefe, dass ich schon sehr ungeschickt sein muss, damit der Fokus nicht sitzt. Meine Portraits nehme ich meist ziemlich offenblendig auf, also bei Blenden zwischen f/1.8 und f/4, je nach Objektiv. Das ist ja auch wichtig, um ein schönes Bokeh im Hintergrund zu bekommen.
Hier seht ihr ein Video von meinem Test. Am besten in Vollbild und mit höchster Auflösung ansehen, sonst sieht man die minimalen Effekte gar nicht!
Ja, es verschiebt sich was. Aber die Fokusverschiebung ist so minimal, dass ich bezweifele, dass man viel damit anfangen kann. Wenn der Autofokus auf die Wimpern statt auf die Pupille scharfgestellt hat, dann mag es etwas nützen. Aber mehr war in meinem Test nicht drin. Wenn jemand meiner Leser andere Erfahrungen gemacht hat, bitte gern unten kommentieren!
Die Bokehverschiebung ist da schon interessanter. Hier kann man sicher, besonders unter Einbeziehung von Bokeh im Vordergrund (Grashalme, Äste usw.) das Bild im Nachhinein noch relativ stark beeinflussen.
Das Herausrechnen von Streulicht habe ich nicht getestet. Wenn von euch jemand etwas dazu sagen kann, würde ich mich über einen Kommentar freuen!
Fazit
Die Technik ist innovativ, keine andere Kamera hat derzeit diese Features. Leider ist die Umsetzung des Features “Schärfeebene-Verschiebung” nicht so gut gelungen. Ich sehe es mehr als ein “Proof of concept” als etwas wirklich Praxisrelevantes.
Hingegen funktioniert die Fokusverschiebung bei einer richtigen Lichtfeldaufnahme hervorragend und über einen viel größeren Abstandsbereich. Mit meiner Lytro Illum habe ich das schon ausgiebig getestet und ihr könnt drei Beispiele in folgendem Video sehen.
Jedoch ist die Bildqualität der Lytro Illum lange nicht so gut wie die der EOS 5D Mark IV. Die Lichtfeldfotografie steckt noch in den Kinderschuhen (wobei die Grundidee nicht ganz neu ist: die theoretischen Überlegungen zur Lichtfeldfotografie stammen bereits von 1908). Lytro hat mit der Illum einen großen Schritt nach vorn ins Consumer-Segment gewagt und eine Kamera geschaffen, die die neuen Features bravourös umsetzt, aber bei der Bildqualität deutliche Schwächen hat. Canon ist den umgekehrten Weg gegangen. Ich bin gespannt, wann es eine Kamera im geben wird, die beide Stärken in sich vereint.
(Nachtrag von 2017: Leider ist Lytro aus dem Consumermarkt verschwunden. Es gibt derzeit keinen Lichtfeldkamera-Hersteller, der den Consumermarkt bedient. Mit der Lytro Illum ist die Lichtfeldfotografie vom Consumermarkt bis auf Weiteres verschwunden. Schade!)
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